(neu: Mehr Details aus dem Gutachten)

    BERLIN (dpa-AFX) - Das geplante Gesetz zur Tarifeinheit wird nach
Einschätzung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages gegen das
Grundgesetz verstoßen. Das Gesetz, über das am Donnerstag erstmals im
Plenum beraten wird, stelle einen Eingriff in die kollektive
Koalitionsfreiheit dar, heißt es nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur in der Expertise. Der Berliner "Tagesspiegel" (Montag)
hatte zuvor darüber berichtet. Alles in allem seien
verfassungsrechtliche Bedenken nicht von der Hand zu weisen.

    Der Beamtenbund (dbb) und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund
hatten bereits angekündigt, das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht
zu Fall bringen zu wollen.

    Eingriffe in Grundrechte sind dem Gutachten zufolge zwar möglich,
aber nur wenn sie gerechtfertigt seien. Das Ziel des Gesetzes - also die
Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu sichern - reiche dafür nicht
aus. Auch andere Begründungen seien nicht ausreichend für einen
Eingriff in die Koalitionsfreiheit - etwa eine Zunahme von
Arbeitskämpfen in jüngster Zeit oder das Ziel der Stärkung des
Betriebsfriedens.

    Die Regierung will künftig in Betrieben mit mehreren
Tarifverträgen für dieselbe Beschäftigtengruppe dem Vertrag der
Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern Vorrang geben. Das soll mehr
Ruhe in die Betriebe und die Wirtschaft insgesamt bringen. Die Macht
kleinerer Gewerkschaften wie jener der Lokführer, GDL, würde
eingeschränkt. Deshalb sieht der Wissenschaftliche Dienst die
Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Grundgesetz betroffen.

    Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands
BDA, entgegnete in der Zeitung: "Der Gesetzentwurf stellt nur eine Regel
auf für den Kollisionsfall." Wenn also zwei Gewerkschaften und
Tarifverträge auf dieselben Arbeitnehmer zielten, müsse es Klarheit
darüber geben, welcher Tarifvertrag gelte. Das Gesetz sei kein Eingriff
in ein Grundrecht, sondern dessen Ausgestaltung.

    BDA-Präsident Ingo Kramer ergänzte am Sonntag in Berlin: "Die
aktuellen Tarifabschlüsse wie in der Metall- und Elektroindustrie wie
auch die laufenden Tarifverhandlungen etwa in der Chemieindustrie
belegen nachdrücklich, dass die Tarifpartner ihrer Verantwortung
gerecht werden." Das Ergebnis eines Abschlusses dürfe nicht in Gefahr
sein, jederzeit durch neue Forderungen und Arbeitskämpfe infrage
gestellt zu werden.

    Der dbb und seine betroffenen Mitgliedsgewerkschaften protestieren
von diesem Montag an gegen den Gesetzentwurf aus dem
Bundesarbeitsministerium von Andrea Nahles. Vor den Parteizentralen von
CDU und SPD wollen Mitglieder bis Donnerstag Mahnwachen abhalten. Zum
Auftakt will dbb-Chef Klaus Dauderstädt vor der CDU-Zentrale sein. Vor
die SPD kommen unter anderem dbb-Tarifexperte Willi Russ und der
Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus
Weselsky. Vor allem die massiven Bahnstreiks im Oktober und November
hatten den Ruf nach dem lange geplanten Tarifeinheitsgesetz lauter
werden lassen./bw/DP/he